Hintergrund
Jacob Heinrich Reichsgraf von Flemming
3. März 1667 in Hoff (Trzesacz), Pommern; † 30. April
1728 in Wien)
... Ausländer war der einflußreichste Minister Jacob Heinrich
von Flemming.
Geboren 1667 in Pommern, also nur drei Jahre älter als sein Herr,
an den Universitäten Frankfurt a. O. Und Utrecht ausgebildet, wurde
er Schüler des Naumburgers Johann Georg Grävius, eines seinerzeit
bekannten Geschichtschreibers und Philologen. Dann wurde Flemming Soldat,
hatte 1688 den Zug Wilhelms von Oranien nach England mitgemacht, war
darauf in die Dienste des Großen Kurfürsten eingetreten.
Sein Onkel Heino Heinrich war sächsischer General gewesen, und
das mag den Neffen nach Sachsen gezogen haben. Für den Dienst in
Polen machte ihn der Umstand besonders geeignet, daß er in jungen
Jahren eine Nichte des Heino Heinrich, die Tochter eines der Großen
des Landes, Przebendowsky, geheiratet hatte. Dort wurde er zum erfolgreichsten
Förderer der Königwahl Augusts, wobei seine Frau und seine
Schwiegermutter ihn unterstützten.
Später heiratete Flemming eine Prinzessin Radziwill, Tochter des
Großkanzlers von Litauen, also aus einem den deutschen Fürsten
ebenbürtigem Geschlecht. Das war für einen Hof des achtzehnten
Jahrhunderts eine bedeutungsvolle Sache. Flemming konnte also behaupten,
sein Geschlecht sei seit langer Zeit in Polen ansässig, er habe
also ein Recht auf Mitwirken in der Politik des Landes.
Es wäre erfreulich, wenn ein Geschichtsschreiber von klarem Blick
uns eine Würdigung dieses Günstling Augusts schenken wollte,
ein solcher, der die Urteile der Zeitgenossen auf ihren Wert zu prüfen
versteht. Günstling war er deswegen, weil der August als treuer
Diener erschien. Loen erzählt, daß er diesen gelegentlich
als „Bruder“ mit „Du“ anredete, dies zwar nach
reichlichem Weingenuß. Es dürfte doch wahrscheinlich sein,
daß nur dieser ihn verleitete, eine Vertraulichkeit vor anderen
zu zeigen, wenn er sonst natürlich im öffentlichen Verkehr
mit Seiner Majestät den dienstlichen Ton einzuhalten verstand.
Es liegt eine Anzahl Briefe in der Öffentlichen Bibliothek in Dresden,
aus denen man sieht, daß er im Verkehr mit Leibnitz, Thomas, dem
englischen Philosophen John Toland und der Königin Charlotte von
Preußen die ernstesten Fragen über die höchsten Dinge
behandelte, Briefe von rund siebzig Seiten, daß er in gleichem
Sinnen seinen Neffen, dem Starosten Peter Przebendowsky schrieb, also
nicht der windige Geselle war, als den der Klatsch in hinstellte. Spricht
doch selbst die böse Zunge der Markgräfin von Bayreuth mit
Anerkennung von ihm. Man wird also noch festzustellen haben, welche
die Verdienste des Feldmarschalls und Ministers waren, die August veranlaßten,
ihn so hoch zu heben. Loen schildert ihn als verwegenen und unvorsichtigen
Soldaten. Er glaube, sich als Politiker verstellen zu müssen, sei
aber im Grunde aufrichtig, dabei kühn in seinen Unternehmungen,
rasch im Entschluß, unermüdlich bei der Arbeit.
Seine Leistungen seien erstaunlich: wenn er hundert Menschen angehört
und Bescheid gegeben habe, schlafe er auf einem Sessel und sei, sobald
er geweckt werde, sofort wieder frisch. So erscheine er für die
Geschäfte geboren, auf seiner Kanzlei werde Tag und Nacht gearbeitet,
sie bilde die hohe Schule für junge Beamte.
Wolfframsdorf, der alle Beamten des Königs schlecht zu machen bestrebt
war, wirft Flemming vor, daß er dem König nicht genug Achtung
erwies und ihn zu beherrschen suchte. Das sagt Wolfframsdorf in der
böswilligen Absicht, daß der König es lese, um diesen
vor dem Einfluß Flemmings zu warnen, den König aber an seiner
verwundbarsten Stelle zu treffen. Loen sieht die Sache anders: Er schiebt
die auch von ihm bemerkte Unehrerbietung Flemmings gegen den König
der engen Freundschaft zu: „Der König lacht darüber,
und damit ist alles wieder gut“. Denn Flemming sei ein großer
Mann und dem König sehr treu. Der Ergebenheit begegnet ein Fürst
ja auf Schritt und Tritt. Er ist froh, wenn er einmal ein gerade Wort
hört.
Viele klagten über des Ministers unlautere Geschäfte und Bestechlichkeit,
hatte er sich doch gerade in der Kunst geschickten Bestechens in Polen
bewährt. Das hierzu nötige Geld zu beschaffen, war sicher
nicht leicht gewesen. Wir erfahren, daß der Hofjude Behrend Lehmann
dabei beteiligt war. Wenn Flemming später von August sagte, er
habe das Geld für seine politischen Zwecke ohne viel Wahl genommen,
wo er es fand, so zeigt sich, daß flüssiges Kapital zu dem
großen Geschäft der Erlangung der Krone nur bei den Juden
zu finden war. Nicht das Bestechen schien also Flemming bedenklich,
sondern daß August sich geheim zu haltenden Zwecke einem Juden
verpflichtete. Ob ihn aber die Gewandtheit Flemmings im Bestechen beunruhigt
hat, scheint mir sehr fraglich. Gab es doch an allen Höfen Leute,
von denen man offen erzählte, daß sie Geld von fremden Mächten
bezögen. Man hielt dies zwar nicht für ein löbliches
Treiben, aber man zahlte auch solches ins Nachbarsland. Es galt für
den Politiker als Aufgabe der Klugheit, die Bestrebungen solcher Leute
nach ihrer Herkunft richtig einzuschätzen...
Cornelius Gurlitt: August der Starke – Ein Fürstenleben
aus der Zeit des Deutschen Barock, Sibyllen-Verlag zu Dresden, 1924