»Dresden, 13. Februar – Ein Rahmen für das
Erinnern«
Hintergrund, Entstehung, Ziele
Am Abend des 13. Februar 2004, dem 59. Jahrestag der Zerstörung
Dresdens im Zweiten Weltkrieg, war der Dresdner Altmarkt mit Hunderten
orangener Leuchten markiert. Sie formten einen weithin sichtbaren, spitz
zulaufenden Keil, der in den Platz stieß – als kurzzeitige
Visualisierung einer Verletzung, die bis heute spürbar ist. Tatsächlich
spielt in Dresden – anders als an vielen anderen kriegszerstörten
Orten Europas – die Erinnerung an die Katastrophe des Jahres 1945
eine wesentliche Rolle im Selbstverständnis der Stadt und ihrer
Bürger, in ihrem gesellschaftlichen Handeln und in ihrer kulturellen
Atmosphäre. Auch das Bild Dresdens in der Welt ist nachhaltig vom
Wissen um die Zerstörung geprägt, die immer wieder als symbolhaftes
Beispiel für Gewalt gegen die Zivilbevölkerung genannt wird
– auch an anderen Orten, in anderen Kriegen oder zu anderer Zeit.
Lebt man in Dresden und ist sensibel für die Verfassung der Stadt,
so muss man sich der Erinnerung an den 13. Februar 1945 stellen. Sie
manifestiert sich auf vielfältige Weise: Über eine reiche
und differenzierte Erinnerungskultur, die sich in unterschiedlichsten
Formen – privat wie öffentlich – artikuliert. Über
politisch motivierte Verlautbarungen und Handlungen, die auf die Zerstörung
Dresdens Bezug nehmen. Über ein andauerndes internationales Interesse
der Medien und der Kunst am »Symbol Dresden«. Und nicht
zuletzt gründet manche Überzeugung und Haltung der Dresdner,
die den genius loci ausmachen, wesentlich auch in der Reflektion von
Zerstörung und Wiederaufbau.
Dabei bewegt sich die auf den 13. Februar fokussierte Erinnerung an
die Zerstörung Dresdens seit Jahrzehnten in einem spannungsvollen
Kontrast: Einerseits bildet das Gedenken einen Rahmen, in dem vor allem
der Friedenswillen der Nachkriegsgenerationen bewahrt, in dem Annäherung
an die ehemaligen Kriegsgegner erreicht, in dem Versöhnung angeboten
und empfangen wurde. Andererseits wird die Erinnerung seit 1945 kontinuierlich
benutzt, um unterschiedliche politische Ziele zu erreichen, wozu immer
wieder geschichtliche Fakten manipuliert, vom historischen Kontext isoliert
und verzerrend bewertet werden.
Diese Gegensätze haben sich in neuer inhaltlicher Ausprägung
in den vergangenen Jahren verstärkt: Während am 13. Februar
2004 auf dem Altmarkt persönliche Botschaften aus aller Welt und
die Rede eines israelischen Friedensaktivisten und Holocaust-Überlebenden
den Dresdner Gedenktag in den Kontext eines internationalen Friedensengagements
stellten, nutzten Hunderte Rechtsradikale die Symbolkraft des Tages
für makabre Selbstinszenierungen. Während in der Frauenkirche
eine Nacht der Stille, in den Kirchen Gottesdienste, auf den Bühnen
bewegende Kunstwerke Gelegenheit zu Besinnung und Nachdenklichkeit
gaben, war die Atmosphäre in den Straßen des Stadtzentrums
vom lautstarken Katz-und-Maus-Spiel zwischen Demonstranten und Polizei
bestimmt. Während diejenigen Dresdner, die persönliche Betroffenheit
fühlen, ihrer Trauer Ausdruck gaben, wurde diese von marschierenden
Rechten kaltschnäuzig benutzt und ihnen gleichzeitig von Gegen-Rechts-Aktivisten
die Berechtigung zur Trauer abgesprochen. Während mehrere Veranstaltungen
und Publikationen ein differenziertes Geschichtsbild aufzeigten, in
dem die historische Verantwortung auch unserer Stadt für Krieg
und NS-Verbrechen nicht ausgespart bleibt, benannten die Redner der
Vertriebenverbände ausschließlich deutsche Opfer und die
Plakate der Gegendemonstranten ausschließlich Deutsche als Täter.
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen und in Sorge angesichts des kommenden
60. Jahrestags der Zerstörung Dresdens hat sich noch im Februar
dieses Jahres eine kleine Gruppe Dresdner Bürger gebildet. Wir
vertreten Institutionen oder Initiativen, die sich in unterschiedlicher
Weise mit der Geschichte unserer Stadt in Nationalsozialismus und Krieg
auseinandergesetzt haben.
Uns eint die Sorge, dass der 13. Februar 2005 in noch stärkerem
Maße als Bühne für extreme politische Haltungen missbraucht
werden könnte. Wir möchten sichern, das die wertvollen
Erfahrungen der dann 60-jährigen Dresdner Erinnerungskultur für
unsere Gegenwart nutzbar gemacht werden. Wir möchten uns im Kontext
des 13. Februar mit der Geschichte unserer Stadt und ihrer Menschen
auseinandersetzen und grundlegende Fragen von Frieden, Menschenwürde
und unserer Verantwortung dafür zum Thema machen. Wir möchten
nach zeitgemäßen Formen der Erinnerung suchen.
Das Anliegen unserer Gruppe traf sofort auf Unterstützung durch
den Oberbürgermeister unserer Stadt. Bereits Mitte März konnte
eine öffentliche Diskussion zum Umgang mit der Erinnerung an die
Zerstörung Dresdens in der Unterkirche der Frauenkirche durchgeführt
werden – ein Novum in der Stadtgeschichte seit 1945. In der Veranstaltung
wurde das gesamte Spektrum der Übereinstimmungen und Konflikte
deutlich.
Wir gewannen die Überzeugung, dass eine möglichst breite und
demokratische Diskussion geführt werden muss, in der die Ziele
und Grundsätze unserer Erinnerung bestimmt werden. Als Ausgangspunkt
dieser Diskussion haben wir in den vergangenen Monaten einen kompakten
Text erarbeitet, der mit »Dresden 13. Februar – Ein Rahmen
für das Erinnern« überschrieben ist. Dieser Text wird
heute veröffentlicht.
Er benennt die Gegenstände unserer Erinnerung im Kontext des 13.
Februar. Er beschreibt einen Horizont, auf den sich die Erinnerung richtet.
Und er zeigt Motivationen und Haltungen auf, die wir nicht teilen.
Als »Rahmen« bezeichnet soll der Text einen Erinnerungsraum
beschreiben, in dem Platz für vielfältige Aktivitäten
und Perspektiven ist. Gleichzeitig soll auch deutlich gesagt werden,
welchen Umgang mit der Erinnerung wir nicht tolerieren wollen, was also
außerhalb des Rahmens liegt.
Wir hoffen, mit dem Text »Dresden 13. Februar – Ein Rahmen
für das Erinnern« Grundsätze formuliert zu haben, an
die sich die überwiegende Mehrheit der Akteure bei ihrem Umgang
mit dem Erinnern schon lange gebunden weiß. Wir fühlen uns
in dieser Überzeugung dadurch bestätigt, dass bereits mehr
als 100 Persönlichkeiten Dresdens auf unsere Bitte hin die Aussagen
des Textes unterstützen.
Dieser Text ist durch bürgerschaftliches Engagement entstanden.
Es ist nun an den Bürgern dieser Stadt, ihn zu diskutieren, zu
verbessern und letztlich zum Handlungsrahmen zu machen.
Dresden, 22. September 2004
Matthias Neutzner
Autoren des Textes »Dresden 13. Februar – Ein Rahmen für
das Erinnern« sind:
Friedemann Bringt, Kulturbüro Sachsen
Stephan Fritz, Pfarrer der Dresdner Frauenkirche
Annemarie Müller, Ökumenisches Informationszentrum Dresden
Elisabeth Naendorf, Stadtökumenekreis Dresden
Matthias Neutzner, IG „13. Februar 1945“
Hildegart Stellmacher, Gesellschaft für christlich-jüdische
Zusammenarbeit Dresden
Peter Teichmann, Referent des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt
Dresden
Informationen zur IG „13. Februar 1945“ finden Sie hier